Ultima Tanda
Es ist Samstag Abend, 9 Uhr, und wir werden langsam hungrig. Durch unser Hotel weht wieder einmal der Duft von Gegrilltem, mit dem die Parilla auf der gegenüberliegenden Straßenseite die notorischen Karnivoren hierzulande vom frühen Vormittag bis durchgehend 2 Uhr nachts versorgt. Für die noch übrigen Tage steht Bife de Lomo auf unserem Speiseplan, denn die fleischlose Kost, die wir die letzten zwei Tage aus Termingründen hatten – Canelloni mit Faschiertem und Reis mit Huhn fallen hierzulande unter vegetarisch – tut uns nicht gut, liefert zuwenig Energie. Selbst Renate flüstert schlaftrunken “Will Fleisch!”, wenn der Hunger sie aus der nachmittäglichen Siesta weckt.
Langsam werden in den Straßen die Blätter braun, kann es abends empfindlich kühl werden, sind die Tage noch warm und sonnig, doch nicht mehr heiß. Es herbstelt in Buenos Aires und wir haben ein traumhaftes letztes Wochenende vor uns. Ein verlängertes, denn Montag ist schon wieder Feiertag. Die Stadt ist wie leergefegt, der Verkehr auf der Avenida Corrientes, der sonst nur Stop and Go kennt, ist flüssig. Und es mischt sich etwas Wehmut hinein, denn seit ein paar Tagen läuft die Uhr rückwärts, zählen wir den Countdown bis zum Abflug.
Der wehmütige Unterton kann dem Tango nur gut tun, macht ihn bestimmt tiefer. Es kommt immer häufiger vor, daß gut tanzende Argentinierinnen beim Abgang von der Tanzfläche kein barsches “Gracias!” mehr hinwerfen, sondern “muy lindo” und ähnliche Süßigkeiten flöten. Ich mache mir nichts vor: ein paar Wörter Spanisch und ein tiefer Blick in meine extrablauen Augen machen den Unterschied. Auf den Milongas kennen sie uns mittlerweile, läßt sich kein Argentinier mehr von Renate’s Companero von der dritten Tanda mit ihr abhalten, flirten dafür die Porteñas umso ungenierter mit mir. Diese Woche haben sie uns sogar bei der Milonga-Tombola gewinnen lassen: una botella de champagne!!
Mittlerweile ticken wir im Herzschlag der Stadt. Die Tage ziehen ruhig vorüber, die Nächte verbringen wir auf Milongas. Halb Zwölf als Ausgehzeit erscheint völlig natürlich. Wir haben uns richtig an Buenos Aires gewöhnt, uns seinen Rhytmus angeeignet: es lo que hay – es ist wie’s ist, oder einfach: was soll’s. Keine Aufregung mehr über den ausgefallenen Termin im Teatro Colon, wir hatten dann kurzfristig doch etwas anderes vor. Unsere Ausflüge haben wir auf Iguazu und einen Tag Uruguay zusammengestrichen, es ist sich einfach nicht mehr ausgegangen. Ein letzter Abstecher ins Mekka der Tangueras aller Herren Länder, ins Comme il faut, geht sich noch aus. In den vier Wochen Buenos Aires haben wir jeder über 100 Stunden Tango getanzt, waren wir auf mehr als 30 Milongas und haben Livekonzerte von Orquesta Tipica Fernandez Fierro, El Afronte, Color Tango und einigen anderen Orchestern gesehen, für die wir zuhause weit fahren würden. Hier spielen sie quasi um die Ecke.
Montag geht der Flieger. Wir wechseln die letzten paar Dollar ein, der Kurs ist wieder besser geworden. Sonntag gehen wir nochmal auf die Glorieta, unsere Lieblingsmilonga, auf einen letzten Tango in Buenos Aires. Herrlich schwermütig! Die vier Wochen waren viel zu schnell um. Zeit für einen Rückblick und einen Rundgang…