Clash of cultures?

28 February 2009 | Australien

Nachdem ich in den letzten drei Wochen jeden verfügbaren Australier, den ich in ein etwas tiefergehenderes Gespräch als "No worries, mate!" verwickeln konnte, damit genervt habe, ihn über die Ureinwohner und seine Meinung dazu auszufragen, erlaube ich mir, mir eine vorläufige eigene Meinung zu bilden.

 

Man kann natürlich hergehen und sagen, die weißen Australier haben den Aborigines ihr Land gestohlen, als sie Australien vor gut 200 Jahren besiedelt haben. Genausogut kann man aber all die Stammeskriege der letzten 20.000 Jahre auf diesem Kontinent aufrollen, denn Krieg, Landnahme und Unterdrückung sind nicht etwas, das die Weißen erfunden haben. Es ist sinnlos und zweckfrei, sich auf die Geschichte und ihre Ungerechtigkeiten zu berufen, das dreht das Rad der Zeit nicht zurück. Lassen wir es also dabei.

 

Fest steht, daß keiner der Aboriginal People heute mehr in "traditioneller" Weise lebt. Die sind ja nicht völlig deppert. Es ist wesentlich einfacher, ein Kängaru im Supermarkt mit der Cashcard zu erlegen als zu Fuß mit dem selbstgezimmerten Speer. Außerdem schmecken Kartoffelchips und Schokoriegel halt doch besser als die Wiggedy Grubs, die Wurmlarven, welche die Aborigines traditionell aus der Erde gebuddelt haben, um sie lebend zu essen als wertvolle Eiweißquelle. Ob dies gut für sie ist, steht auf einem anderen Blatt, aber es ist ihre Entscheidung.

 

Diese Diskrepanz ist es, die den eigentlichen Konflikt ausmacht. Hier die schmollende Feststellung – die haben uns was genommen, jetzt können wir nicht mehr so leben wie früher und deshalb sind wir ach so arm. Dort die uneingestandene Tatsache, daß auf genau dieses Leben ohnehin keiner mehr Bock hat, weil man die Annehmlichkeiten der Zivilisation in Form von Supermärkten und Geländewagen dann doch nicht missen möchte.

 

Rund 200.000 Aborigines leben in Australien, viele Halb- und Viertel-Mischlinge nicht mitgerechnet. Drei Viertel davon leben von der Sozialhilfe und gehen keiner Arbeit nach. Arbeiten, das ist ein Konzept ähnlich wie Häuser mit Wänden für viele Eingeborene: fremd. Stellt ihnen die Regierung kostenlose Häuser zur Verfügung, so sehen diese rasch ziemlich demoliert aus. Camps nennen sie das hier. Ruth, die Australierin die für die Regierung arbeitet und für sechs Monate beruflich in Alice Springs weilt, meinte: wenn Du in der Ortschaft eine Gruppe von völlig heruntergekommenen Häusern siehst mit einem gut erhaltenen in der Mitte, dann ist das ein Camp. Das Haus in der Mitte ist die Kommunen-Verwaltung, dort gibt’s wöchentlich das Geld.

 

Die Aborigines sind in lokalen Kommunen organisiert, welche in etwa der Stammeszugehörigkeit entsprechen. Ob eine Community gut funktioniert, hängt stark von ihren Oberhäuptern ab. Die meisten tun es nicht. Es ist kein Zufall, daß Australien trotz der allgemeinen Entspanntheit in vielen anderen Dingen sehr strikte Alkoholgesetze hat. Viele Communities sind dezidiert "dry", aus gutem Grund. Jene, die diese Regeln nicht einhalten können, landen im Flußbett des Todd River in Alice.

 

Was hält die Leute nun in dieser hoffnungslosen Situation ohne Perspektive? Ja, es gibt Jobprogramme für Aborigines, doch zum Einen haben die meisten wegen fehlender Schulbildung keine Chance auf eine vernünftig bezahlte Arbeit. Unter dem Aufhänger "Tradition" werden auch heute noch eingeborene Kinder teilweise vom Schulgang abgehalten, obwohl die Schulpflicht für alle Australier gilt. Zum Anderen gibt es erwerbsloses Einkommen. Das sind die Einnahmen aus den Nationalparks, ein Anteil an jedem Ticket, die Pachtgebühren der Regierung für das zurückgegebene Land und nicht zuletzt Unterstützungszahlungen an die Kommunen der Aborigines, praktisch und faktisch Sozialhilfe auf breiter Front. Die Regierung zahlt effektiv seit vielen Jahrzehnten und wenn man sein ganzes Leben von der Sozialhilfe lebt, dann dürfte es schwer sein, diesen Habit zu ändern. Abstellen läßt sich die Sache freilich genausowenig, denn dann wären die 150.000 Ureinwohner arbeits-, mittel- und obdachlos. Mit Land wie ohne ein Problem, denn jagen und Wiggedy Grubs ausbuddeln haben die nie gelernt.

 

Seit 1985, seit der offiziellen Rückgabe eines Großteils des Northern Territory an die Aborgines-Kommunen also, versuchen diese ihren eigenen Weg in die Neuzeit zu finden. Sie haben die Möglichkeit, sie besitzen die Rechte. Nur über den Brückenschlag zwischen Tradition und Moderne herscht Uneinigkeit unter den Stämmen. Der besteht nicht nur aus Autos und Supermärkten. Fast alle alten Stammesgesetze inkludieren das Teilen als elementare Sozialregel. Was mir gehört, gehört dem Stamm. Unter den Jungen hingegen ist heute eher die My-Regel en vogue. My car, my TV, my iPhone. Bis sie diesen Brückenschlag gefunden haben, wird sie das weiße Australien wohl noch einige Generationen lang aus Steuergeldern versorgen.  Das macht die Schwarzen bei vielen Weissen nicht so beliebt.


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