Die Geschäfte des Herrn Phong

26 December 2009 | Vietnam
Die Uferpromenade Bach Dang in Hoi An

Die Uferpromenade Bach Dang in Hoi An

Herr Phong sitzt auf der Veranda des Restaurants in der Bach Dang und wartet. Die Bach Dang ist die Rambla von Hoi An, ein Fuß-, Fahrrad- und Mopedweg der am Fluß entlangführt, an dem das ehemalige Fischerdorf liegt. Hier schmiegt sich Haus an Haus, Restaurant an Restaurant und keines davon wird jemals eine Haube verliehen bekommen, doch darum geht’s auch gar nicht. Hier zahlt man für die Aussicht. Herr Phong begrüßt die Gäste, bringt die Speisekarte, nimmt die Bestellungen entgegen. Doch Herr Phong arbeitet nicht hier, und noch weniger ist er Kellner.

Herr Phong ist Reiseführer und das Restaurant ist sein Büro. Booking: 6:00pm to 9:00pm steht auf seiner Visitenkarte. Täglich. Herr Phong organisiert Reisen ins echte, authentische Vietnam.
Hoi An hat eine UNESCO-geschützte Altstadt und 1.731 Schneider und Gwandgeschäfte

Hoi An hat eine UNESCO-geschützte Altstadt, insgesamt 1.731 Schneider und Gwandgeschäfte...

... und ein paar sehr schöne Tempel

... und ein paar sehr schöne Tempel

Ob Hoi An seine besten Zeiten hinter oder noch vor sich hat, darüber läßt sich trefflich spekulieren. War es im 17. und 18. Jahrhundert wichtiger Hafen, hat ihm das 30 km nördlich gelegene Da Nang irgendwann den Rang abgelaufen und das Städtchen versank in der Bedeutungslosigkeit der Geschichte. Diesem Umstand ist es zu verdanken, daß die Altstadt bis heute fast original erhalten ist und mittlerweile zum UNESCO Weltkulturerbe zählt. Die einzige auto- und mopedfreie Altstadt Vietnams. Zumindest theoretisch. Sogar der Fluß ist noch völlig authentisch: genauso dreckig wie vor 200 Jahren.
Die Japanische Brücke - das Wahrzeichen von Hoi An

Die Japanische Brücke - das Wahrzeichen von Hoi An

Altstadtdetail

Altstadtdetail

 

Frauen beim Morgentratsch

Frauen beim Morgentratsch

Am gegenüberliegenden Ufer hat ein Landsmann von uns eine Bar: Frühstück auf österreichisch mit Kaffee und Kipferl

Am gegenüberliegenden Ufer hat ein Landsmann von uns eine Bar: Frühstück auf österreichisch mit Kaffee und Kipferl

Sogar Hund gibt es hier, lebend. Bisher fanden wir die eigentlich nur in den Speisekarten.

Sogar Hund gibt es hier, lebend. Bisher fanden wir die eigentlich nur in den Speisekarten.

Wir starten um 9 Uhr vor dem Hotel; Herr Phong kommt mit dem eigenen Moped und mit einem gemieteten Fahrer, es geht nach Quang Nam, einem Kaff keine zehn Kilometer nördlich der Stadt, ein paar hundert Häuser links und rechts der Straße. Hier geht das Leben noch seinen ruhigen Gang, sieht man vom Verkehr ab. Die meisten hier leben vom Anbau von Reis und Tabak. Erster Stop ist Herrn Phongs Privathaus. Erst letztes Jahr wurde es fertiggestellt, ein bescheidenes aber gut ausgestattetes Familienheim. Das Haus seines Bruders ist gleich nebenan. Der Bruder ist nicht Reiseführer, er ist gelähmt und frettet sich durch. Man sieht es dem Haus an. Wir absolvieren eine Stunde Geschichtsunterricht in Sachen 20. Jahrhundert. Herr Phong war dabei – Ingenieur von Beruf, wurde er kurz nach Beginn des Studiums zum Militär eingezogen, Mitte der Sechziger, als der Krieg zwischen dem kommunistischen Norden und dem kapitalistischen Süden so richtig losging.
Herr Phong

Herr Phong

Nach dem Krieg war er als Bauingenieur tätig, aber das ging nicht so recht vorwärts. Der Onkel war Kommunist, ist er heute noch. Herr Phong selbst war nie einer. Sowas kann eine Karriere in Vietnam ordentlich bremsen. Aber sie würden ihn auch gar nicht in die Partei aufnehmen, selbst wenn er wollte, denn dazu braucht es entweder eine politisch korrekte Familienhistorie oder entsprechend Geld. Ja, auch der Kommunismus hat sich den praktischen Erfordernissen angepaßt. Herr Phong hat weder das eine noch das andere, offiziell ist er Bauer. Nun ja. Ein bißchen was wird tatsächlich angebaut vor dem Haus – fürs Suppengrün reicht es.
Familienreisfelder hinterm Haus

Familienreisfelder hinterm Haus

Und so wird aus Reis Reiswein

Und so wird aus Reis Reiswein

 

Onkel war mal hochdekorierter Kaderkommunist

Onkel war mal hochdekorierter Kaderkommunist

Jetzt müssen wir aber weiter, seine Frau hat das Mittagessen fertig

Jetzt müssen wir aber weiter, seine Frau hat das Mittagessen fertig

Wir plaudern ein bißchen übers Leben im realsozialistischen Alltag. Als Bauer ist es kein Problem, vier Kinder zu haben, so wie Herr Phong. Will man in der Partei aufsteigen, ist die Zweikindfamilie Programm. Stellt sich kein Sohn ein, ist das ungut, denn Töcher werden verheiratet und gehen dann in der Familie des Bräutigams auf, selbst wenn sie ihre Nachnamen behalten. Damit später mal vor dem Familienschrein einer für einen betet, braucht man Söhne. Aber jetzt schweife ich ab. Beim Sozialismus waren wir, und bei der Marktwirtschaft. Die jüngere Gechichte und Onkel Ho interessieren uns nur am Rande, wir haben die Eckdaten alle im Kopf. Das überrascht unseren Gastgeber, denn offenbar sind die Touristen, die seine Tour sonst buchen, geschichtswissenschaftlich recht unterernährt. Das erklärt die zahlreichen Dankesbriefe aus aller Welt, die Ansichtskarten und die Bücher, die ihm die Leute schicken. Herr Phong hat ihnen allen die Augen geöffnet und sie haben ihre Herzen geöffnet.
Zweikindfamilie in Vietnam

Zweikindfamilie in Vietnam

Während wir uns über schlechte Universitäten unterhalten und darüber, wieviel ein Lehrer hier verdient (umgerechnet zwischen $50 und $200 im Monat, je nach Schule und Dienstalter), streicht die Zeit dahin. Und der Onkel wartet. Auf einem Dorfrundgang lassen wir uns den lokalen Markt erklären, die tatsächlichen Preise für Gemüse und Obst – unsere Mangos waren trotz zäher Verhandlungen ums Dreifache überbezahlt, und diskutieren über privaten Landbesitz, Familienschreine unglaublich reicher Nachbarn und darüber, wie man im Kommunismus eigentlich reich werden kann.
Am Markt: Gans frisch!

Am Markt: Gans frisch!

 

Die sind auch noch gut drauf... noch!

Die sind auch noch gut drauf... noch!

 

Der Familienschrein eines eher besser verdienenden Nachbarn

Der Familienschrein eines eher besser verdienenden Nachbarn

Nein, nicht der. Der ist Landwirt und nicht reich

Nein, nicht der. Der ist Landwirt und nicht reich

Der wohnt hier, im ältesten Haus des Dorfes...

Der wohnt hier, im ältesten Haus des Dorfes...

 

... wo man noch die Einschußlöcher der Neujahrsoffensive von 1968 sieht

... wo man noch die Einschußlöcher der Neujahrsoffensive von 1968 sieht

 

Hier baut man Reis an oder Tabak...

Hier baut man Reis an oder Tabak...

Die sind für die Frischmilch, die was die depperten Touristen immer im Kaffee haben wollen

Die sind für die Frischmilch, die was die depperten Touristen immer im Kaffee haben wollen

... oder man geht einer ganz normalen Arbeit nach, wie z.B. hier Friseur am Fluß

... oder man geht einer ganz normalen Arbeit nach, wie z.B. hier Friseur am Fluß

Natürlich ist Vietnam nicht mehr wirklich kommunistisch, es ist durch und durch kapitalistisch. Trotzdem unterliegen die Mädels, die am Hausstrand von Hoi An mit ihrem Krimskrams Kunden suchen, strengen Kontrollen. Jeden zweiten Tag dürfen sie verkaufen und nur in einem bestimmten Abschnitt. Einzige Ausnahme bildet die uralte Frau mit ihren Zigaretten, Taschentüchern und frischen Bananen. Die kümmert das gar nix, die tut was sie will.
Endlich Sonne: der Hausstrand von Hoi An ist gar nicht so übel

Endlich Sonne: der Hausstrand von Hoi An ist gar nicht so übel

Die Verkäuferin ist angeblich 86, aber ihr Englisch war schwer verständlich. Rechnen kann sie aber noch ziemlich gut...

Die Verkäuferin ist angeblich 86, aber ihr Englisch war schwer verständlich. Rechnen kann sie aber noch ziemlich gut...

Spät am Abend – kurz vor Neun ist hier – sind wir unterwegs auf einem Abendspaziergang auf der Bach Dang, nach einem Drink beim Landsmann gegenüber. Wie jeden Abend zwischen Sechs und Neun begrüßt Herr Phong die Gäste, bringt die Speisekarte, nimmt die Bestellungen entgegen. Doch Herr Phong arbeitet nicht hier.
Abendstimmung in Hoi An

Abendstimmung in Hoi An


One Response to “Die Geschäfte des Herrn Phong”

  • 1 Adi Weinwurm Says:

    Hallo Ihr Zwei im fernem Hoi An mit eurem Herrn Phong. Interessante Eindrücke, amüsante Schilderungen – wie immer unterhaltsam …