Hoffnungslos im Hintertreffen

19 March 2014 | Buenos Aires

Renate hat einen uneinholbaren Vorsprung. Ob es nun Schuhe sind oder getanzte Tandas, ich kann dabei nicht mal annähernd mithalten. Das Konzept große dunkelhaarige Frau mit ausgezeichnetem Spanisch ist ein durchschlagender Erfolg – sie nimmt jeden Abend eine neue Telefonnummer eines neuen Verehrers mit. Sonntag Abend hat sie von 4 Stunden Freiluftmilonga genau 1 Tanda nicht getanzt. Am Montag gleich nochmal 3 1/2 in der Milonga en Rojo. Sie ist unter den hiesigen Milonga-Haudegen der neue Geheimtip und von den sieben Paar Tangoschuhen kann sie eines gleich wieder hier lassen, so durch sind die mittlerweile.

 

Die verbale Verständigung ist ein wichtiges Element des Tangos. Auch wenn die “Verbindung” und die “Umarmung” das zentrale Thema sind, es verbindet und umarmt sich doch gleich viel herzlicher, wenn man ein paar Worte wechseln kann. So halte ich mich halb halb an Touristinnen mit Englischkenntnissen und die Argentinierinnen, die mich süß anblinzeln, sodaß der Smalltalk zweitranging wird. Tanzen gehen wir getrennt. Zwar meistens auf dieselben Milongas, doch wir tun so, als würden wir uns nicht kennen. Das machen viele so. Ich treffe auf eine Kolumbianerin, wohnhaft in Italien, auf eine Argentinierin aus Finnland. Vielen haben ihren Partner dabei, der hält aber ebenso konsequent Abstand. Unser Taxifahrer kennt die Adresse “Maipu 365”. Milonga? frägt er. Oh ja, er hat auch mal zwei Jahre Tango getanzt, es aber wegen seiner dritten Frau aufgegeben, die wäre zu eifersüchtig gewesen. Was für ein Glück ich habe, daß meine es nicht ist!

 

Trotz der großen Auswahl an Milongas, die man hier jeden Tag hat, kristallisieren sich nach ein paar Wochen klare Favoriten heraus. Die mit Abstand netteste Location ist die Glorieta in Belgrano, ein überdachtes Rondell, auf dem bei Schönwetter allabendlich Milongas stattfinden. Am Sonntagabend tummeln sich hier geschätzt 200 Leute, es ist rappelvoll, aber trotzdem gut tanzbar. Auch die Milonga en Rojo in der Maipu 365 ist einer unserer Lieblingsorte. Neu eröffnet, nachdem sie jahrelang geschlossen war, ein geschichtsträchtiger Ort für Tangueros, hier hat Anibal Troilo live gespielt. Merkt man aber gar nicht so arg, sie haben zwischendurch renoviert.

 

Daß die Argentinier im Durchschnitt besser tanzen als die Europäer kann ich so stehen lassen. Insbesondere wenn ich mich selbst in den Vergleich miteinbeziehe… Doch daß dies auch für die Argentinierinnen gilt, möchte ich nicht so vorbehaltlos unterschreiben. Sie tanzen anders hier in Buenos Aires, Schraubstockumarmung ist Usus, der Mann ganz klar für alles verantwortlich, was oberhalb und insbesondere unterhalb der Gürtellinie passiert, Frau läßt sich tanzen. Oben anschmiegsamer Liebhaber, unten Athlet. Umgekehrt sei es eine Porqueria, sagt Osvaldo Natucci, der uns bei Monica Paz im Gehen unterrichtet.

 

Die Argentinierinnen wollen bewegt werden und das gilt umso mehr, je älter die Damen sind. Nein, kein Snobismus eines gerade den Anfängerrängen entstiegenen Jungtangueros, denn daß es anders geht, habe ich inzwischen auch erfahren. Die jungen Argentinierinnen tanzen aktiver, kommunikativer, lebendiger, ein klarer Generationenwechsel. Nur kriegen muß man sie erst mal, die Prinzessinnen! So kapriziös wie vor eineinhalb Jahren stellen sie sich allerdings nicht mehr an. Das muß dann wohl an meinen neuerworbenen Spanischkenntnissen liegen…

 


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