Holzfäller-Tango

20 March 2014 | Buenos Aires

Die Tanda war der absolute Hammer! Ein Kulturschock und eine Erleuchtung. Theoretisch weiß ich, was der alte “Milonguero-Stil” ist. Schwer. Schwerfällig. Mit viel Apilado, d.h. man lehnt sich aneinander und hat eine gemeinsame Achse beim Tanzen. Völlig erdig, in den Boden hinein. Raffaella hat oft versucht, es mir klarzumachen, nie ist es angekommen. Und dann das!

 

Die Dame ist eine Portena, cien porciento, und spricht keine Silbe Englisch. Völlig egal! Die Größe paßt und von Anfang an schlingt sie ihren linken Arm um meinen Hals, macht sie deutlich, wo es langgeht. Milonguero, alles klar! Sie tanzt so schwerfällig wie ein Holzfäller. Und ich mache mit. Con pausa. Lange pausa. Baum fällt. Und Schritt. Alle vier Takte fällen wir einen gemeinsamen Baum, pardon, Schritt, mit gefühlten 50kg Gewicht an jedem unserer Füsse. Wir stapfen den Steinboden zu Bruch. Und Schritt. Mit jedem Schritt wird der Tango schwerer, tiefer, wird der Rhytmus intensiver. Die Musik ist kein Schrammeltango der alten Schule, es sind hübsche Valses. Noch nie habe ich einen eigentlich beschwingten Vals derart schwer und tief getanzt. Mit einem Wort: geil!

 

Dabei hat der Mittwochabend so gar nicht vielversprechend begonnen. Die Milonguita in der Armenia 1353, direkt gegenüber dem berüchtigten La Viruta, ist ein wunderschöner Tanzsaal mit viel Platz und äußerst gemischtem Publikum. Von halb 9 bis 10 ist Unterricht im ersten Stock. Es war ein Fehler, dorthin zu kommen, denn wir machen Giros mit Sacadas. 7 Damen, 2 Herren. Von den 7 Damen sind fünf Stunde-Null-Anfängerinnen. Der Lehrer rauft sich die Haare und versucht, die Mädels irgendwie alle unterzubringen, während er fließend in Spanisch, Französisch und Englisch simultan erklärt. Seine Assistentin hat sich mental längst ausgeklinkt, sitzt teilnahmslos daneben und würde eine Modezeitschrift lesen, wäre denn bloß eine da. Er selbst hätte sich die goldene Tanzlehrermedaille verdient mit dieser Stunde, wäre er didaktisch auch noch gut. Ist er leider nicht wirklich. Giros mit Sacadas mit Anfängerinnen, die nicht wissen, wie man Ocho schreibt, geschweige denn tanzt. Dazu zwei Herren, die alles andere als stilsicher sind damit. Das Leben eines Tangolehrers ist manchmal echt hart…

 

Aber die eineinhalb Stunden gehen irgendwie rum. Während oben die Klasse stattfindet, geht unten die Milonga los. Von Stunde-Null bis gute Tänzer/innen ist alles vertreten, die Atmosphäre ist völlig entspannt und sämtliche Beteiligten sind ausgesprochen nett. Ich treffe neben Touristinnen die ersten Portenas, die nahezu fließend Englisch sprechen, ernte wundervolle Komplimente und gebe ebensolche zurück. Die erhaltenen für Tango, umgekehrt für die Sprachkenntnisse, alles andere wäre vermessen. Schade, daß wir die Milonguita erst in der letzten Woche entdecken, wir wären sicherlich wiedergekommen.

 

Unterm Strich wird es ein runder Abend und als sich die Milonguita langsam leert, maschieren wir mit. Quer über die Straße, ins armenische Kulturzentrum, in die berüchtigte La Viruta Milonga. Kein Eintritt und das um halb Eins. Es ist allerdings auch (noch) ziemlich leer, denn in die Viruta geht man nicht vor 2 Uhr früh. Große Tanzfläche mit Steinboden und viel Platz. Schmierige Alttangueros, die auf die Touristinnen warten. Lahme Kellner und die Beleuchtung so schlecht, daß ein Cabeceo zur Witznummer ausarten würde. Gesehen muß man das La Viruta haben. Tanzen muß man es nicht unbedingt. Wir genehmigen uns zwei Gläser Sekt und lassen den Abend gemütlich ausklingen.

 

Eines bleibt: ein Hammer-Milonguero-Kulturschock! Renate hat es mir schon erzählt, wenn sie von ihren schwierigen, manchmal auch guten, Ü70-Tandas mit den alten Herren zurückkam, die völlig auf sie abfahren. Es ist so ähnlich, wie die Bauern aus dem Mühlviertel Walzer tanzen. Die haben dazu ihren eigenen Gummistiefel-kompatiblen Stil entwickelt. Völlig anders als Tanzschul-Walzer, das komplette Gegenteil zu einer spritzigen Milonga. Genauso schwer, genauso tief ist das hier. Und richtig gut! Wenn ich das zuhause tanze, werden sie mich anstarren wie ein Alien…

 


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