Im wilden Westen

26 March 2009 | Australien

Der wilde wilde Westen … fängt gleich hinter Perth an. Landeinwärts und nördlich davon ist mit landschaftlicher Vielfalt und Abwechslung fürs Auge relativ bald Schluß. Rund fünfhundert Kilometer nördlich erste Übernachtung: Geraldton. Über Geraldton gibt es vor allem zu sagen, daß es zumindest abends relativ geschlossen ist. Die Stadt hat 20000 Einwohner und ist die größte im Umkreis. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß man hier noch Dinge bekommt, die man die nächsten tausendfünfhundert Kilometer weiter nördlich nicht mehr findet. Internet zum Beispiel, McDonalds, die Insignien der Zivilisation halt.

Cafe in Geraldton - Nur vormittags geöffnet, dann aber gut

Cafe in Geraldton - Nur vormittags geöffnet, dann aber gut

 

Ich unterhalte mich lange mit Christian, Mitte Dreißig, Arzt aus Graz. Hat sein Medizinstudium zuhause abgeschlossen und stand ohne Job da. Also ging er. Erst nach Großbrittannien, dort nahmen sie ihn mit Handkuß. Ein Mediziner dort geht, soferne er nicht reich geboren ist, mit einer Million Schilling Schulden aus dem Studium. Bei uns schmeißen sie es dir nach und dann wollen sie das Geld, das die Österreicher in den frischgebackenen Arzt hineingesteckt haben, nicht mehr zurück. Verückt ist das, meint er. Die Briten wollten, die Australier auch. Seit zweieinhalb Jahren ist er hier in der Gegend, Job und Visum kein Problem. Eine Stadt wie Geraldton hat immerhin ein Krankenhaus, sagt er. Die anderen "Städtchen" mit ihren 500 oder 1000 Einwohnern, die haben 1 praktischen Arzt, wenn man Glück hat. Der macht von Geburten bis Blinddarmoperation alles selber. Seine Outbackgeburten hat Christian schon hinter sich, die Tropenkrankheiten kennt er mittlerweile, für den Blinddarm ruft er die Flying Doctors. Trotzdem besser, wenn man hier gesund ist.
Das Outback beginnt hier oben direkt an der Küste. Was auf der Karte nicht als Punkt eingezeichnet ist, das existiert nicht. Zwei Stunden Fahrt bis zum nächsten Kartenpunkt, der aus einer Tanke mit Klo besteht. Dann die nächsten zwei Stunden Fahrt. Ein kleiner Schlenker zur Küstenstraße runter entpuppt sich als 100 Kilometer Detour, dann führt die Straße zwischen Sanddünen und Outback entlang. Ohne Halt, ohne Parkplatz, WC oder auch nur einem schattenspendenden Baum. Ein, zwei Autos auf der Gegenspur sind die einzige Abwechslung auf der Fahrt.
Pink Lake in der Nähe von Kalbarri, ein zuckerlrosa Salzsee. Die Farbe kommt von einer Algenart.

Pink Lake in der Nähe von Kalbarri, ein zuckerlrosa Salzsee. Die Farbe kommt von einer Algenart.

Irgendwann taucht Kalbarri auf. "Willkommen in Kalbarri" verheißt das Schild am Straßenrand. Dabei sind es noch 40 km hin. Aber man freut sich buchstäblich über jegliche Aufmunterung – nur mehr eine halbe Stunde in der glutheißen Sonne.
Kalbarri, 650 km nördlich von Perth

Kalbarri, 650 km nördlich von Perth

Kalbarri, meint mein Reiseführer, ist ein hübscher kleiner Ort, der einen mühelos drei Tage beschäftigen kann. Derzeit ist Nebensaison. Nebensaison? frage ich nach. Es hat gut 30 Grad. Jau! meint Joanne an der Rezeption. Nebensaison ist hier immer dann, wenn grad keine Schulferien sind. Hier kann man Klippen und Schluchten anschauen, Nationalpark anschauen, oder ganz einfach vollauf mit Nichtstun beschäftigt sein. Das Richtige für einen, der nach zwei Monaten rumfahren langsam reisemüde wird. Ich nehme ein bißchen was von den Klippen, such mir einen Strand und tue ansonsten letzteres.
Klippen vor Kalbarri, die Schluchten dazwischen haben vereinzelt Strand

Klippen vor Kalbarri, die Schluchten dazwischen haben vereinzelt Strand

Nach einem Weilchen werden die Gedanken flach und einfach. Das Wichtigste des Tages scheint die Frage zu sein, ob die nächste Welle, die am Sand anrollt, höher sein wird als die vorletzte. Allein die Buchführung und Katalogisierung der Wellen beschäftigt eine Gehirnhälfte. Die andere ist vollauf damit ausgelastet, den Sandsteinfelsen beim Erodieren zuzusehen. Das funktioniert tatsächlich: alle paar Minuten bröselt irgendwo von den Überhängen eine Messerspitze Sand herunter. Kann sich also nur mehr um Jahrzehnte handeln, bis der Felsen runterfällt. Ausgesprochen spannend.
Das wäre ein guter Platz zum Vögeln. Den Seemöven zufolge.

Das wäre ein guter Platz zum Vögeln. Den Seemöven zufolge.

Ich starte meinen dritten Anlauf, Henry Miller zu lesen, nachdem The Tropic of Capricorn und der vom Cancer mich vor Jahren zu Tode gelangweilt haben. Im Koloss von Maroussi schreibt Henry über Griechenland in der langatmigen Art die ihm eigen ist. Korfu und Athen kurz vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges. Wer weiß, vielleicht ist Henry ja genau das Richtige für Kalbarri. Lassen wir ihn doch einfach mal selbst zu Wort kommen:
To keep the mind empty is a feat, a very healthful feat too. To be silent the whole day long, see no newspaper, hear no radio, listen to no gossip, be thoroughly and completely lazy, thoroughly and completely indifferent to the fate of the world is the finest medicine a man can give himself. (Henry Miller, The Colossus of Maroussi)

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