Kontrastprogramm
Würde man die Milongas in Glaubensrichtungen einteilen – und diese Kategorisierung ist gar nicht mal abwegig – dann gäbe es katholische, erzkatholische und orthodoxe. Auf der anderen Seite die Atheisten, von linksliberal bis zu den Anarchos.
Und während das La Catedral eher zur Anarchoszene gehört, ist Boedo Tango einwandfrei katholisch. Das Lokal verströmt den Charme einer 80er-Jahre Landdisco, organisiert von der örtlichen Jungschargruppe: rot bepinselte Wände, verspiegelte Säulen, Stühle wie aus der Baumarkt-Gartenabteilung, Marke Nirosta, die Glitzerkugeln fehlen. Der Tanzsaal ist riesig, mit zwei großen Tanzflächen, einer Bühne und endlosen Tischreihen. Hier wird man gesetzt.
Männer und Frauen in getrennten Tischreihen. Eine Unterhaltung mit den Tischnachbarn scheitert an den Spanischkenntnissen, die Unterhaltung mit den deutschsprechenden Tischnachbarinnen daran, daß sie eine Reihe weiter sitzen. Die Gestensprache ist rasch erschöpft, es bleibt der Blickkontakt. Auf diese Weise wird aufgefordert, man trifft sich auf der Tanzfläche und plaudert dort erst mal, anders geht's ja auch gar nicht. Während der ersten ein, zwei Minuten jedes Stückes stehen durchaus mehr Leute plaudernd auf dem Parkett, als tanzend, bis sich der Mob langsam wieder in Bewegung setzt. Die restlichen 90 Sekunden kommt man auch mit Sakko nicht mehr ins Schwitzen.
Hier sind außer uns keine Touristen und es geht ausgesprochen züchtig zu. Mein Blick schweift über die Tischreihen und registriert Mineralwässer, Cola, Kräutertees. Altersdurchschnitt: deutlich über 50, eher 60 und das ist höflich. Musik: traditionell. Neotangos würden sie hier mit dem Kruzifix und einer Stange Knoblauch austreiben. Die größte Extravaganz des Abends ist eine komplette Tanda mit Samba(!)-Stücken, da lassen sie echt den Stier raus.
Nun ja. Jeder nach seinem Geschmack.
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