La Catedral

10 October 2012 | Buenos Aires

Schon jetzt bereue ich es, pünktlich heimfliegen zu müssen. Das Gepäck ist mittlerweile eingetroffen und hätte ich die Option, ein paar Wochen zu verlängern, ich würde kurzerhand hierbleiben. Buenos Aires beginnt, seinen Zauber zu entfalten. Dem mörderischen Verkehr zum Trotz geht es eher gemütlich zu in dieser Stadt. Niemand hetzt. Auch wir nicht:

 
10 Uhr
Tagwache und gemeinsames Frühstück, Kurzbesprechung, was wir heute so anstellen wollen und wer wann was shoppen möchte.
 
11 Uhr
Workshop direkt im Hotel, Chacarera heute, ein argentinischer Volkstanz, der auch auf den Milongas zwischendurch getanzt wird. Morgen gibt's wieder Tango.
 
16 Uhr
Klassischer Gruppenunterricht in der Escuela Argentia de Tango. Tanzlehrer Pablo erobert die Herzen der Mädels im Sturm: Ende Zwanzig ist er, verflucht gutaussehend, toller Körper und Körperbeherrschung, Zähne wie aus der Fernsehwerbung und dann palavert er auch noch charmant auf Spanisch und Englisch. Jede von ihnen hätte ihn sich gerne zum Mitnehmen einpacken lassen. Aber nur ich bekomme seine Visitenkarte. Die mit dem nackten Oberkörper…
 
19 Uhr
Nach einem Powernap die erste Privatstunde mit Marion, der Ex-Showtänzerin. Prima Vibes, es geht was weiter. Fühle mich gerüstet für den Abend.
 
21 Uhr
Tango y Cena, also Abendessen mit Show in einem der nahen Theater. Das Essen ist hervorragend, die Show ist auch gut. 
 
24 Uhr
Auf in eine der Milongas. Die Abendmilongas fangen nicht vor 23 Uhr an, ab Mitternacht kommen die Leute, ab 2 Uhr die guten Tänzer. Im La Catedral geht es bis Fünf, am Dienstag mit extra Show. Deshalb sind wir hier.
 
Das Catedral ist in einer Gegend, wo man als Frau nachts ungern allein spazieren geht. Muß frau auch nicht, wir sind ja zu acht. Das Lokal ist ein unscheinbares Eckhaus mit Aufgang in den ersten Stock. Oben offenbart sich der Name: sie haben einfach eine Decke rausgerissen und dem Carlos Gardel eine Kathedrale gebaut. Fertig ist es halt noch nicht… 
 
Die Location hat was von einer Sperrmüllsammelstelle mit seinem Sammelsurium an Bestuhlung, den Klapptischchen und den riesigen Kabeltrommeln, die ebenfalls als Tische dienen. Die Wände über zwei Geschoße wild dekoriert, bei Shows wird schon mal am Tresen getanzt und zwischendurch huscht die Hauskatze übers Tanzparkett. Dieses mußte schon einige Dacheinstürze verkraften, der Verformung des Bodens nach zu urteilen. Das alles tut der Stimmung keinerlei Abbruch, die ist ausgesprochen relaxed, das Publikum relativ jung, die Musik allerdings alt. Carlos Gardell ist Programm, und die Pausen zwischen den Tandas sind mit Rock & Roll fast genauso beliebt wie Tango.
 
Um halb zwei fängt die Show an. Sie räumen die Tanzfläche, schieben das alte Ding von zwei Meter hohem Piano in die Mitte, stellen Geige, Bandoneon, Chello und den Sänger dazu und dann wird aufgespielt. Subjektiv besser als beim Tango y Cena, aber ohne den geringsten Respekt: ein Lied darf er ungestört singen, dann holen sich die Tänzer die Tanzfläche zurück und tanzen kurzerhand um die Band herum. Beim Verstärkerkabel muß man ein bißchen aufpassen wegen Stolpergefahr, doch es gab keine Zwischenfälle. Ziemlich cool das Ganze. Ja, Buenos Aires entfaltet langsam seinen Charme.
 
 
 
4 Uhr
Zapfenstreich
 
Und weil es zu dem Abend so schön paßt, finde ich meine Tangolehrerin. Sie hat die Herausforderung angenommen und ab Donnerstag hat sie eine Woche Zeit, aus mir einen Milongero zu machen. Aber das ist eine andere Geschichte.

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