Buenos Aires Again
Es ist genau ein Jahr her, daß ich das letzte Mal dort war. Doch ab 24. Februar 2014 geht’s wieder los: Argentinien, Uruguay und natürlich Buenos Aires! Dieses Mal mit Dolmetscherin.
Es ist genau ein Jahr her, daß ich das letzte Mal dort war. Doch ab 24. Februar 2014 geht’s wieder los: Argentinien, Uruguay und natürlich Buenos Aires! Dieses Mal mit Dolmetscherin.
Der Regen ist zurück und während ich dies schreibe, tröpfelt es. Ich meine: hier im Zimmer. Von der Decke. Draußen schüttet es aus Kübeln und die Dachterrasse über mir hat offenbar nie eine Dichtheitsprüfung bestanden.
Die europäischen Klischees für Argentinien sind Pampa (von hier kommt das Wort ja schließlich), Rindfleisch und, zumindest bei Buenos Aires: Tango!
Würde man die Milongas in Glaubensrichtungen einteilen – und diese Kategorisierung ist gar nicht mal abwegig – dann gäbe es katholische, erzkatholische und orthodoxe. Auf der anderen Seite die Atheisten, von linksliberal bis zu den Anarchos.
Und während das La Catedral eher zur Anarchoszene gehört, ist Boedo Tango einwandfrei katholisch. Das Lokal verströmt den Charme einer 80er-Jahre Landdisco, organisiert von der örtlichen Jungschargruppe: rot bepinselte Wände, verspiegelte Säulen, Stühle wie aus der Baumarkt-Gartenabteilung, Marke Nirosta, die Glitzerkugeln fehlen. Der Tanzsaal ist riesig, mit zwei großen Tanzflächen, einer Bühne und endlosen Tischreihen. Hier wird man gesetzt.
Männer und Frauen in getrennten Tischreihen. Eine Unterhaltung mit den Tischnachbarn scheitert an den Spanischkenntnissen, die Unterhaltung mit den deutschsprechenden Tischnachbarinnen daran, daß sie eine Reihe weiter sitzen. Die Gestensprache ist rasch erschöpft, es bleibt der Blickkontakt. Auf diese Weise wird aufgefordert, man trifft sich auf der Tanzfläche und plaudert dort erst mal, anders geht's ja auch gar nicht. Während der ersten ein, zwei Minuten jedes Stückes stehen durchaus mehr Leute plaudernd auf dem Parkett, als tanzend, bis sich der Mob langsam wieder in Bewegung setzt. Die restlichen 90 Sekunden kommt man auch mit Sakko nicht mehr ins Schwitzen.
Hier sind außer uns keine Touristen und es geht ausgesprochen züchtig zu. Mein Blick schweift über die Tischreihen und registriert Mineralwässer, Cola, Kräutertees. Altersdurchschnitt: deutlich über 50, eher 60 und das ist höflich. Musik: traditionell. Neotangos würden sie hier mit dem Kruzifix und einer Stange Knoblauch austreiben. Die größte Extravaganz des Abends ist eine komplette Tanda mit Samba(!)-Stücken, da lassen sie echt den Stier raus.
Nun ja. Jeder nach seinem Geschmack.
Am Mittwoch ist tangofrei. Bis zum Abend jedenfalls, bis zur nächsten Milonga. Zeit, Buenos Aires auf meine Lieblingsart zu erkunden: zu Fuß. Ich marschiere Richtung Norden, Richtung Recoleta.
Wenn Buenos Aires das "Paris des Südens" genannt wird, ist Recoleta gemeint – Plaza Francia zeugt davon. Seit 140 Jahren ist es ist ein exklusives Wohnviertel mit zahlreichen wunderschönen Jahrhundertwendebauten, eleganten Boutiquen und deutlich mehr Bäumen als im Zentrum von Buenos Aires. Richtig schick wurde das Viertel, als die betuchteren Einwohner des alten Zentrums vor der Gelbfieberepidemie von 1871 flohen, ihre alten Häuser aufgaben und sich im Norden der Stadt neue bauten. Und noch eine zweite Stadt haben sie dort gebaut: die Stadt der Engel, den Friedhof von Recoleta.
55.000 Quadratmeter, sagt der Reiseführer, fast 5.000 Totenhäuser. Häuser, keine Erdgräber. Erbaut aus Stein und Marmor, im Jugendstil oder modern, den Wohnhäusern der Lebenden nachempfunden, mehrere Stockwerke oberirdisch, mehrere unterirdisch. Teils gigantische Monumente für jene, die sich selbst auch im Tod noch darstellen wollen: der alte General mit einer überlebensgroßen Statue seiner selbst neben kleineren Familienmausoleen, um die sich seit scheinbar Jahrzehnten niemand mehr kümmert. Ein leichtes Gruseln überkommt einen, wenn man durch die zerbrochenen Scheiben auf die gestapelten Särge blickt, die großteils überirdisch gelegt sind, so nahe, daß man sie mit der ausgestreckten Hand berühren kann. Bei manchen meint man, die Knochen der Toten sehen zu können, wenn nicht nur die Fensterscheiben, sondern auch ein Sargdeckel zerbrochen ist. Der Modergeruch, der aus Kammern aufsteigt, ist jedenfalls echt.
Und über allem trohnen die Engel. Hunderte, tausende. Sie stehen vor, neben und auf den Dächern der Häuser und wachen über die Toten.
Schon jetzt bereue ich es, pünktlich heimfliegen zu müssen. Das Gepäck ist mittlerweile eingetroffen und hätte ich die Option, ein paar Wochen zu verlängern, ich würde kurzerhand hierbleiben. Buenos Aires beginnt, seinen Zauber zu entfalten. Dem mörderischen Verkehr zum Trotz geht es eher gemütlich zu in dieser Stadt. Niemand hetzt. Auch wir nicht:
Zumindest die Hunde müssen sie haben, die buenos aires, und es muß reichlich davon geben. Denn wenn es eine Stadt gibt, die den Namen der Hochburg der Hundehäuferl verdient hat, dann diese. Auch wenn die Wiener jetzt aufschreien und diesen Kosenamen ihrer Lieblingsstadt zugeordnet wissen wollen: nein, ihr Lieben. Gegen Buenos Aires ist Wien ein Pekinesenfurz, aber ein windiger und kein gehaltvoller! Ist auch kein Wunder, denn das Verhältnis von Asphalt zu Grün ist relativ einseitig in dieser Stadt mit 13 Millionen Einwohnern, deren Bevölkerungsdichte größer als die von Tokio ist; und Plastiksackerl kennt man hier nur vom Einkaufen.