Regen

17 October 2012 | Buenos Aires

Der Regen ist zurück und während ich dies schreibe, tröpfelt es. Ich meine: hier im Zimmer. Von der Decke. Draußen schüttet es aus Kübeln und die Dachterrasse über mir hat offenbar nie eine Dichtheitsprüfung bestanden.

 
Bei Regen bleiben die Portenos tatsächlich zuhause. Auch die Schüler und erst recht die Tanzschüler. Die Escuela Argentina de Tango im obersten Stock des Einkaufszentrums Pacifico ist weitgehend leer. Und weil das alle wissen, außer mir, bleiben auch die Lehrer zuhause. Die Stunde mit Veronica fällt aus. Wirklich schade, denn die Frau hat einen guten Humor und komödiantisches Talent: sie äfft die Schüler vor versammelter Klasse nach, um zu demonstrieren, was sie falsch machen. Darauf folgt die Anweisung, wie es richtig zu machen wäre. Nicht gezeigt, sondern in sehrrrrr fließendem Spanisch. Man ist danach so klug wie zuvor, aber nach dem vierten, fünften Durchgang hat es auch der letzte begriffen.
 
Schön sind sie nicht, die Argentinierinnen. Sehr maskuline Gesichtszüge. Das wirkt bei einigen Frauen ungeheuer attraktiv. Dem Gros, das nicht mit schönen schwarzen Haaren und einer großgewachsenen schlanken Statur gesegnet ist, gereicht es aber selten zum Vorteil. Veronica gehört zu den letzteren, an ihr ist ein stattlicher Mann verloren gegangen und sie weiß das.
 
Doch Veronica kommt heute nicht. Ob ich stattdessen die Parallelklasse mitmachen möchte? Ja klar, warum nicht. Ist zwar für Fortgeschrittene, aber soviel Selbstbewußtsein hab ich doch mittlerweile locker.
 
Passenderweise sind auch die Lehrer der Parallelklasse nicht erschienen und so hält Mariajose eine weitere Stunde in Vertretung. Und da außer mir auch keine anderen Tanzschüler erschienen sind, haben wir uns zu zweit. Zum Auftakt vernichtet sie mich, wir müßten wirklich mit den Basics beginnen. Das tun wir dann auch ausgiebig, eine Stunde im Kreis gehen, Haltung üben, zwei Runden geht sie mit. Dafür müßte ich nun nicht extra in die Escuela, das ginge auch alleine. Mariajose sieht das genauso und geht zwischendurch eine rauchen, sie ist sichtlich genervt. Als sie die Stunde fünfzehn Minuten vor der Zeit beendet, wird sie schließlich doch noch versöhnlich: mit ein paar Privatstunden ließe sich da schon was machen bei mir. Natürlich werde ich mich bei ihr melden! Ach Mariajose, da müssen wir aber noch ein bißchen üben und wirklich bei den Basics beginnen. Anfängerklasse Charme zum Beispiel, danach Professionalidad Intermedio. Mit ein paar Stunden wird das schon.
 
Ich setze mich zum Starbucks in der Eingangshalle des Pacifico, warte auf das Nachlassen des Wolkenbruchs und übe mich im Cabeceo. Wahrlich kein Spiel für entscheidungsschwache Frauenversteher, es geht nämlich rasend schnell! Schon der zweite Versuch klappt: die großgewachsene Brünette, der die maskulinen Gesichtszüge ganz ausgezeichnet stehen, lächelt im Vorbeigehen verstohlen zurück. Yepp! Wäre dies eine Milonga, wären wir schon auf der Tanzfläche.
 

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