Saigon
Ho Chi Minh City heißt Saigon offiziell. Aber die Hochiminhisten nennen ihre Stadt selten so, wenn sie nicht gerade politische Ambitionen haben. HCMC ist die gängige Abkürzung oder einfach weiterhin Saigon. Der Name hält sich hartnäckig, als ob sie den Politbonzen in Hanoi den Finger zeigen möchten. Wenn schon die Stadt nicht mehr so heißen darf wie sie heißt, dann taucht der Name eben in Firmenbezeichnungen, Hotelnamen, Biersorten und auf Schiffsrümpfen auf, wo auch immer man ihn unterbringen kann.
Die Saigoner sind sichtbar stolz auf ihre Stadt. Es ist ein anderes Lebensgefühl hier, viel relaxter aber auch wesentlich geschäftiger als oben im Norden. Man lächelt öfter, zieht sich besser an und auf die gesetzliche Sperrstunde pfeift fast jedes Lokal im District 1, solange Gäste da sind. Saigon ist Business.
Die Stadt auf dem Landweg zu erreichen, ist allerdings eine andere Geschichte. In einem Land mit praktisch nur 1 Eisenbahnstrecke von Nord nach Süd fährt Hinz und Kunz mit dem Bus. Der kostet auch nur ein Drittel, die Bahntickets können sich Herr und Frau Ngyuen fast nicht leisten. Bus bedeutet: Open Tour. Das heißt, du wirst beim Hotel abgeholt. Das Ticket ein Schmierzettel aus dem Reisebüro mit angeschlossener Wohnküche nebenan, die Abfahrt ein "ungefähr 16:30 Uhr". Je weiter südlich wir kommen, desto ungefährer wird das. Dann geht’s mit einem üblicherweise vollbesetzten Bus ans Ziel, über Straßen, die in unseren Breiten kleinen Dorfstraßen mit bösen Schlaglöchern entsprechen, hier aber als Schnellstraßen gelten und so befahren werden. Und dennoch, aller waghalsigen Überholmanöver und Hupkonzerte zum Trotz, gilt die Faustregel 50 Kilometer = 1 Stunde Fahrtzeit. Für die 200 km von Mui Ne nach Saigon brauchen wir sechs und die lückenlose Kette der Geschäfte, Restaurants und Werkstätten links und rechts der Straße reißt auf den 200 Kilometern keine 50 m lang ab.
Saigon vibriert, rund um die Uhr. Kommt man allerdings in Hanoi an, absolviert man seinen Kulturschock schon dort, ist Saigon nicht mehr so wild. Die Überquerung einer Straße kommt einem biblischen Unterfangen gleich, der Moseschen Teilung des nicht endenwollenden Strom der Mopeds. Saigon ist eine Stadt mit 8 Millionen offiziellen Einwohnern – inoffiziell sind’s mehr – ohne öffentlichen Nahverkehr. Den gibt es zwar, nur benutzt ihn keiner, der einigermaßen pünktlich zur Arbeit möchte. Rund 4 Millionen Mopeds sollen hier unterwegs sein.
Die Tour der Sehenswürdigkeiten ist schweißtreibend, obwohl recht kurz. Opera House, Notre Dame, Hafen, das alte Postamt, einer der Prachtbauten, die 1975 nicht zerstört wurden. Und natürlich der Markt. Mit europäischer Schrittgeschwindigkeit geht man sich entweder einen Wolf oder verdurstet beim Überqueren einer Straße. Das Herz der Stadt schlägt langsamer in Wahrheit. Lässiger. Der Geschäftsmann im Anzug, der sein Büro für zwei Stunden ins Terrassencafe verlegt und am Tisch die Schuhe auszieht. Das Fahrradmädel, das jeden Abend an der gleiche Kreuzung seine Runden dreht um getrockneten Tintenfisch zu verkaufen, gelassen, stolz und unbeeindruckt vom Gewühl ringsherum. Mit der Gehgeschwindigkeit wird auch unser Rhythmus langsamer, wird der Verkehr zum ewigen, aber nicht mehr bedrohlichen Fluß, paßt der Abstand der innerstädtischen Wasserstellen plötzlich zum wiederkehrenden Aufflammen von Durst.
Eine der schönsten, wenn nicht die schönste, ist das Hotel Rex . Nördlich vom Zentrum gelegen, das Hotel De Ville direkt gegenüber, ist die Dachterrasse im sechsten Stock der richtige Ort, um über die Stadt zu sinnieren. Hier flog, so will es die Legende, der letzte Hubschrauber der Amerikaner mit den letzten evakuierten Reportern vom Dach weg. Bis 1975 war hier die Zentrale der ausländischen Presse, die über den Vietnamkrieg berichtete. Hier hielt das offizielle Amerika seine Pressekonferenzen ab, die berühmten Five-O-Clock Follies, der tägliche Bullshit um 5 p.m.
Vom Dachgarten unseres Hotels betrachtet wirkt District 1 wie eine Stadt von Puppenhäusern, ein unübersichtliches und undurchdringliches Labyrinth von Tunnelhäusern, die kreuz und quer stehen und hier bis zu zehn Etagen in die Höhe wachsen. Ganz unten brummt entfernt die Bui Vien, dringt leises Hupen in den achten Stock. Wenn die Markthalle abends schließt, fängt die Nachtschicht erst an, andere Händler, vor dem Markt. Wir feilschen um Sandalen bis der Preis nur mehr ein Drittel beträgt, um sie dann doch nicht zu kaufen.
Zwei Straßen weiter prächtig restaurierte französische Kolonialbauten, die Edelflaniermeile mit Geschäften von Gucci & Co, diesmal echt. Wie gemacht für die Kreativen dieser Stadt, die hier nach und nach die Seitengassen und Hinterhöfe beziehen. So wie L’Usine, die Modefabrik. Wenn du nicht weißt, bei welchem Hausdurchgang du rein und über welche Treppe du rauf mußt, findest du es nicht. Wir besuchen die Eigentümerin, eine vietnamesischstämmige Kanadierin. Der Shop sieht aus wie eine Textilfabrik um 1920, doch der Schein täuscht. Alles neu, selbst die altmodischen Fenster. Ist selbst für heimische Verhältnisse lässig, hier im Land der vollgestopften engen Straßenläden ist es eine bahnbrechende Neuheit.

So vielgesichtig, so zwiespältig wie seine Bewohner, ist die Stadt. Nur eines ist ihnen allen gemein: die Lebenslust, der Hauch von Eleganz, der Hang, in den Tag hineinzuleben und zu genießen was man hat, solange man es kann. Wenn es etwas gibt, das Saigon kennzeichnet, dann höchstwahrscheinlich das.
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