Spurensuche

06 February 2009 | China
Heute am späten Vormittag saß ich, meinen Small Cappuccino sippend, vor der hiesigen amerikanischen Kaffeehauskette und sann über die Stadt nach. Es müßte doch, kam mir in den Sinn, noch ein anderes Shanghai geben. Arbeiten wirklich alle Shanghaier in Banken oder im Import/Export-Business? (Vereinfachenderweise zähle die Straßenhändler, das horizontale Gewerbe und die 7493 Taxifahrer zu letzterem.) Oder gibt es das alte, das ursprüngliche Shanghai noch irgendwo? Menschen, die einer ganz normalen Arbeit nachgehen wie Schneider, Schlosser, Wäscherin oder Schuhputzer?
 
Das alles roch oberfaul und ich beschloß, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wieder einmal führte mein untrüglicher Instinkt mich auf die richtige Spur.
 
Der Tag war hervorragend für eine genauere Untersuchung geeignet, denn er versprach, sonnig zu werden. Nun ja, in gewisser Hinsicht zumindest. Es bestand kein Zweifel daran, daß der Shmog in einer Himmelsrichtung heller war als in der anderen, die Temperaturen auf angenehme 15 Grad geklettert waren und die Fernsicht hunderte von Metern betrug.
Das alte, echte Shanghai hat überlebt ! Gut versteckt und kaum bekannt, hat es über die Jahrzehnte der Modernisierung widerstanden und seinen Platz wacker verteidigt. Bis heute. Folge mir, geneigter Leser, auf eine Spurensuche zu den Ursprüngen…
Taipingqiao Park

Taipingqiao Park

 
Wir beginnen erneut in Luwan und begeben uns südöstlich des Fuxing Parks. Die Straßen sind hier adrett gebürstet, die Bürgersteige sauber, die gelangweilten Ehefrauen westlicher Führungskräfte treffen sich beim volkspolizistenbewehrten Starbucks zum Kaffeeklatsch und unterhalten sich über die neueste Mode in der Innenausstattung, welche diese Saison Betten im französischen Kolonialstil favorisiert. Das Kaufgeschäft "What a home cannot do without " ist passenderweise gleich um die Ecke, Ikea auf chinesisch.
"The Spice Market " nennt mein Stadtplan kryptisch die Gegend um den Taipingqiao Park. Wir betreten das Niemandsland zwischen den Stadtteilen Luwan und Huangpu.
Widerstandskämpfer am Taipingqiao Park

Widerstandskämpfer am Taipingqiao Park

 
An der Ecke Taipingqiao Park treffen wir die ersten Widerstandskämpfer: halbabgerissene Häuser, selbstverständlich noch bewohnt. Im Hintergrund der drohende neue Wolkenkratzerturm bereits in Bau. Ist er fertig, wird man die nächste Zeile planieren. Meine Nase folgt zielsicher den modrigen Gerüchen, die sich hier mit fremdartigen Düften aus asiatischen Garküchen mischen. Wir sind in der Jinan Road, in der Pu’am Road und wie die Gäßchen alle heißen. Ist der Oberstock bereits abgerissen, so wohnt man halt im Parterre.
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Oma und Opa auf der Hausbank

Oma und Opa auf der Hausbank

 
Leben und arbeiten unter einem Dach heißt hier das bewährte Motto, gewohnt wird neben der Drehbank, gekocht neben dem Bett.
 
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mopedwerkstatt  gewuerzmarkt
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Die Kleidungsstücke hier hängen nicht zum Verkauf, sondern zum Trocknen! Wo auch sonst? Drinnen ist ja kein Platz. Ja, das ist ein China wie wir es aus Berichten kennen, wie wir es uns vorgestellt haben: originell, authentisch, arm.
Erst in der Fang Bang Road werden die Gassen wieder weiter, hier sind die alten Häuser saniert, die Shops neu eingerichtet. Fang Bang Road, die neue Old Street von Huangpu, darf bleiben. Chinatown in der Chinatown.
Die new Old Street

Die new Old Street

 

Die goldenen Bögen dezent der Umgebung angepaßt

Die goldenen Bögen dezent der Umgebung angepaßt

 
Wo werden sie hinziehen, die Schuhputzer, Wäscher, Schneider, Mechaniker und Gewürzverkäufer, wenn die Hütten abgerissen sind? Sie bekommen das neue Wahrzeichen des Luxus dafür und dies hier gibt uns einen Vorgeschmack darauf, wie schön es wird.
The new landmark of luxury

The new landmark of luxury

The landmark of luxury?

The landmark of luxury?

Man sieht es in den glänzenden Augen der Leute von der Straße:  sie können es kaum erwarten.


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