Das leuchtende Land erwacht

23 January 2012 | Sri Lanka

Wie kommt ein Land vorwärts, hab ich eingangs gefragt, in dem es dermaßen schwierig ist, vorwärts zu kommen? Es kommt nicht. Die amtliche Höchstgeschwindigkiet auf Hauptstraßen ist 70 km/h, im Ortgebiet 32 km/h.

 

Das war ein Scherz. Einer vom Verkehrsministerium. Als ob irgend jemand irgendwo in diesem Land so schnell fahren könnte. Sri Lanka läßt sich durchaus mit Indien vergleichen, sagen jene, die aus Indien kommen. Schöner, sauberer, weniger chaotisch. Edel-Indien mit Strandbonus.

 

Vielleicht ist das aber auch die falsche Frage. Stellen wir sie anders. Wo ist vorne oder: was ist Sri Lanka nicht? Es ist kein Industrieland. Zum Glück, so ist die Natur weitgehend intakt, die Strände sauber, das Wasser klar. Tee funktioniert. Die Textilindustrie der 70er Jahre funktioniert nicht mehr so gut. Sonst ist ziemlich aufgeräumt. Es ist auch kein High-Tech-Land, das wie Indien auf den IT-Zug aufgesprungen ist. Den Teil haben sie verschlafen – Sri Lanka wirkt vielfach, als wäre es erst vor kurzem aus einem 25jährigen Dornröschenschlaf erwacht. Die meisten Guesthouses legen Zeugnis davon ab und sehen aus, als wären sie vor zwei bis drei Jahrzehnten einmal eingerichtet und seither nicht mehr verändert worden. Ja, manche nicht mal geputzt. Eine Vorliebe für Musik der 80er Jahre von Abba bis Boney M. und die Autos auf den Straßen verstärken den Eindruck. 25 Jahre Dornröschenschlaf – das paßt in etwa mit dem Krieg zusammen. Seit der vorbei ist, rührt sich etwas auf der Baustelle Sri Lanka.

 

Wo also ist vorne? Ist es die Edeldestination für Sonnen- und Strandhungrige am indischen Subkontinent mit mittlerem Budget und dem Wunsch nach Ayurveda-Rundumversorgung?

 

Im Jetwing Blue in Negombo stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis bereits: schweineteuer, aber gut.

Im Jetwing Blue in Negombo stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis bereits: schweineteuer, aber gut.

Die preiswerte Hippie-Absteige mit Traumstränden von vor Jahrzehnten gibt es nicht mehr. Selbst landeinwärts hat sich herumgesprochen, daß Touristen bereit sind, 10 Dollar Eintritt zu zahlen für einen halbverwilderten botanischen Garten in Kandy, für den man hierzulande den Gärtner entlassen würde. Oder 30 Dollar, um den UNESCO-geschützten Felsen von Sigiriya zu besteigen. Die Preisangaben der aktuellsten Reiseführer vom letzten Jahr sind längst veraltet, es fehlen nicht ein paar Rupien, es fehlen zwanzig, teilweise dreißig Prozent. Diese Zweiklassengesellschaft zieht sich durch die gesamte Insel und nach dem dritten oder vierten Kulturbesuch frägt man sich unweigerlich, ob es tatsächlich solche Summen wert ist, sich einen Tempel von innen anzusehen, dessen Allerheiligstes ohnehin niemand zu sehen bekommt und dessen Aura fernöstlicher Spiritualität sich beim Betreten verflüchtigt. Buddhismus auf Sri Lanka ist spirituell so gehaltvoll wie ein Big Mac Vitamine hat. Das friedliche Nebeneinander der Religionen hat etwas Putziges, wenn jedes Straßentaxi von einer Galerie mit Buddha-Abbildungen samt Hindugöttern in einer Reihe geziert wird, plus Jesus am Kreuz, schließlich weiß man nie, wer grad Dienst hat.

 

Warten wir’s ab. Sri Lanka besitzt Naturschönheiten, die in der Dichte nicht leicht zu finden sind. Und es besitzt Menschen, die freundlicher sind als anderswo. Das ist kein so übles Kapital! Wenn es ihnen gelingt, die Dollar noch einigermaßen klug zu verteilen und die Tamilen, welche besiegt aber nicht befriedet sind, am Wirtschaftsaufschwung teilhaben zu lassen, dann könnte sich das mit dem derzeit noch schiefliegenden Preisleistungsverhältnis ausgehen. In ein paar Jahren.

 

Denn das leuchtende Land erwacht. Es weiß nur noch nicht, wieviel es wert ist und wieviel nicht.


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