Milongas in Buenos Aires

07 March 2014 | Buenos Aires

“Geht ins El Beso”, haben sie uns zuhause gesagt. “Geht so oft wie möglich ins El Beso!”

 

Das El Beso ist der Inbegriff einer traditionellen Milonga in Bs.As. und so konservativ, daß ich mich immer wieder wundere, daß die dort überhaupt Frauen reinlassen. Praktischerweise liegt es keine 10 Gehminuten entfernt vom Hotel. Die Tanzfläche ist kaum größer als bei Matthias, aber zehn mal soviele Leute. Hier wird mitunter in drei Spuren getanzt. Wenn gute Tänzer da sind, was ab Mitternacht der Fall ist. Davor sind die Touristen in der Überzahl, denn auch denen hat man das gleiche gesagt wie uns. Zu späterer Stunde erscheinen die Maestros. Aber für Tangoanfänger mit Mittelstufenambitionen ist das eine wie das andere nicht wirklich selig machend. Denn die guten Tänzer/innen unter den Argentiniern sind wählerisch. Hat man den Cabeceo geschafft, muß man seine Tanzkünste auf einem Quadratmeter Tanzfläche unterbringen. Was den Maestros ein Lächeln abringt, denn die können das. Unsereins ist da vollauf mit Navigieren beschäftigt, da wird’s schwierig mit dem Flow.

 

Vielleicht sollte ich für die Nichttangueros unter den Lesern das Prinzip Milonga mal erklären. Eine Milonga ist eine Tanzveranstaltung für argentinischen Tango, die regelmäßig, meist einmal pro Woche, an einem bestimmten Ort stattfindet. Das kann eine Bar sein, ein eigens dafür eingerichteter Club wie das El Beso, eine Sporthalle oder eine Freilufttanzfläche. In den Clubs finden mehrmals pro Woche Milongas statt, der Veranstalter ist jedesmal ein anderer. Dieser sorgt für Musik, Sitzordnung und kassiert den Eintritt. In Buenos Aires können die Tänzer täglich aus über einem Dutzend Milongas und Practicas wählen, zentral und übersichtlich aufgelistet auf www.hoy-milonga.com, mit allen Informationen auf Spanisch, Englisch, Französisch und Deutsch.

 

Mittlerweile waren wir auf einer ganzen Reihe von Milongas, von erzkonservativ und steif bis progressiv chaotisch, wo sich die testosterongesteuerten Jungmännchen statt Tanzordnung eine Hackordnung liefern bis hin zur gepflegten Schlägerei, weil der jeweils andere schuld war am Zusammenstoß. Letzteres ist ganz lustig zum Zusehen, aber kein Genuß zum Tanzen.

 

Bis 11 Uhr ist Practica auf der Bendita und Maldita Milonga, am Montag bzw. Mittwoch im Buenos Ayres Club. Die Tanzfläche kann sich mit der vom La Catedral messen, sprich: holpriger Parkettboden, schlechte Beleuchtung und rustikales Ambiente. Danach spielt zweimal die Woche das Orquesta Típica El Afronte, bevor der TJ übernimmt. Die Musik ist tanzbar, aber eine Herausforderung: Pugliese stand erneut Pate. In der Practica erklären sie, daß man nicht quer über die Tanzfläche laufen sollte. Jedenfalls nicht mit Getränken und nicht, während gerade getanzt wird. Ähm, ja… Nachtrag: es war nötig. Um 1 Uhr liefern sich die Veranstalter der Queer-Milonga einen Showtanz. Wirklich sehenswert, die Kerle! Allein das hat den Besuch der teuflischen Milonga gelohnt…


Gepflegter geht es im Sunderland zu. Man muß das Sunderland lieben. Von den großen Milongas in Buenos Aires ist es die abgelegenste, abgefuckteste und authentischste, aber durchaus mit Stil. Gut eine halbe Stunde fährt man mit dem Auto vom Zentrum nach Villa Urquiza, in die Lugones 3161. Ein vergleichsweise ruhiges Viertel, die Straßen gesäumt von Reihenhäusern, die Hektik von Buenos Aires nur mehr an den Avenidas spürbar. Dazwischen der Sunderland Club.

 

Den Schlüssel des Autos gibt man Pedro beim Eingang. Klingt glamourös, ist es aber nicht. No valet parking, no. Pedro paßt nur auf die in der Straße geparkten Autos auf, damit sie nicht wegkommen, aufgebrochen oder abgefackelt werden. Ist sein Job hier, jeden Samstag, er lebt vom Trinkgeld. Für ein Lächeln ruft er dir auch ein Taxi, denn die kommen hier ebenfalls nicht mehr von selber durch. Eine Zigarette noch vor dem Rauchverbot hinter der Eingangstür, umweht vom Duft von gegrilltem Bife de Chorizo und altem Frittieröl aus der angeschlossenen Kantine. Das Sunderland ist eigentlich ein Sportclub. Eine klassische Turnhalle in einem der äußeren Barrios von Bs.As. Unter der Woche spielen sie hier Basketball. Vier große Deckenlampen erleuchten die Halle und verströmen Flutlichtcharme. Die Klimananlage besteht aus riesigen Ventilatoren, die ganze Arbeit leisten und keinen Winkel ohne Zugluft lassen. Bei 40 Grad sicherlich ein Segen. Bei 25 Grad eher kühl, doch die Portenos fühlen sich einwandfrei wohl. Außer uns sind keinerlei Touristen da. Ein Kaffee 18 Pesos, etwa 1,20 Euro, das ist selbst für Bs.As. auf einer Abendveranstaltung günstig.

 

Ab Mitternacht geht’s los, sind die Bife de Chorizos und Empanadas am Tisch und füllt sich die Tanzfläche. Es ist eine der wenigen Milongas hier, wo nicht nur ältere Herren mit jungen Damen tanzen, sondern auch umgekehrt. Und keiner von denen ist Anfänger. Der Sunderland Club steht für den hiesigen “Villa Urquiza Style”, eine sehr elegante Art, Tango Salon zu tanzen. Und das, was die hier auf den dreckigen Steinboden völlig unprätentiös aber elegant hinlegen, ist mehr als eine halbe Stunde Autofahrt wert!

 


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